Der Morgen beginnt mit einem Besuch des Bio-Marktes in Kantipath, wo Dina und ich leckeren Käse und Brezeln essen und einen Cappuchino trinken. Nicht gerade preiswert das Ganze: in Summe gebe ich ca. 10 € dafür aus. Aber auf jeden Fall eine Empfehlung für den „daal bhat müden“ Nepalreisenden. So scheint es auch dort: Die Mehrheit der Käufer und Verkäufer kommt wohl nicht aus Nepal.
Dann geht Dina ins Büro. Ich kaufe noch erste Geschenke ein und bin dann gegen 10:00Uhr pünktlich im „Trekkers Service Center“, um mir eine Massage bei Jyoti zu gönnen.
Während der Massage beginnt plötzlich das Erdbeben.
Ich springe auf und stelle mich zu Jyoti unter den Türbalken. Es schwankt wirklich heftig wie bei Seegang. Überall schreien Leute. Ich schnappe meine Sachen und renne Jyoti hinterher. Bloß raus aus der Straßenschlucht am Thamel chowk! Außerhalb Thamel sind bereits Tausende. Hier sehe ich auch erste Zerstörungen: zwei der Elektromasten sind auf die Fahrbahn gefallen und blockieren den Verkehr. Wahrscheinlich gibt es ein paar Verletzte. Nach ca. 15 Minuten gehe ich zurück. Jyoti und die anderen Mädels sitzen unten vorm Haus. Ich bezahle erst mal die Massage, kaufe mir noch schnell eine Flasche Wasser und gehe zum Tibet Guesthouse. Überall kleine Risse in der Erde. Ein Haus hat es total erwischt. Da ist wohl nichts mehr zu machen. Als ein erneuter schwächerer Erdstoß komme, renne ich aus Thamel auf den Chetrapati-Platz hinaus. Draußen auf dem Chetrapati sind auch eine Menge Leute. Alle suchen einen Platz möglichst weit weg von den nächsten Häusern. In einer Nebenstraße (Richtung Swayambu) sehe ich ein altes Haus, welches total in sich zusammengestützt ist. Es soll auch ein weiteres in der Umgebung geben, wie die Leute später erzählen. Auch der Durbar Square in Kathmandu ist stark zerstört.
Ich laufe dann zum Tibet Guesthouse und hole mir Pass und Geld aus dem Safe. Falls irgendetwas ist, habe ich wenigstens einen Ausweis. Aller paar Minuten gibt es leichte Erdstöße. Es soll wohl ganz schön intensiv sein mit großen Zerstörungen in Mittelnepal, Indien und Tibet. Die Nachrichten kommen aus einem Autoradio. Ich sitze inzwischen im Sunrise Cottage Garten, hoffentlich weit genug weg von den Häusern. Der Schneider an der Ecke, der mittlerweile einen kleinen Lebensmittelladen betreibt, verteilt kostenlos Wasser. Ich stecke ihm heimlich 100 NRp in die Tasche. Die Erdstöße werden zwar nicht schlimmer, hören aber nicht auf. Der Chef vom Tibet Guesthouse spricht davon, dass ab 15:00Uhr Entwarnung sein soll. Woher die Leute das eigentlich so genau wissen wollen? Etwa 15:15Uhr kommt noch ein Erdstoß, danach fangen die Singvögel an zu singen. Sie waren bisher still. Nur die Krähen waren zu hören. Ich nehme das als gutes Zeichen.
Leider sind alle Netzwerke tot oder überlastet. Zwar bekomme ich zwei SMS, von Martin und Lisa, kann aber nicht antworten. Ich versuche Dina anzurufen, um zu fragen, ob alles ok ist. Mein NCELL Netzwerk schein zu gehen, der Ruf geht aber nicht weiter. Auch das Internet ist tot.
Später gelingt es Dina, mich zu erreichen. Bei ihm ist alles in Ordnung. Vielleicht gelingt es ihm, eine Nachricht nach Deutschland zu senden, dass bei mir (uns)alles ok ist.
Im Moment sitze ich wieder im Garten und schreibe den Text hier. 17:00Uhr habe ich mir getraut, in mein Zimmer zu gehen (4. Stock), den Rechner zu holen, aber hauptsächlich Medikamente. Eine chinesische Touristin ist gestürzt und hat Schmerzen. Ich gebe ihr ein paar Paracetamol.
Mal sehen, was noch kommt. Hoffentlich haben die Spatzen und die anderen Singvögel Recht und das war’s! Wissenschaftler sagen schon lange ein überfälliges Erdbeben in der Region voraus. Es hat lange keines gegeben. Irgendwie habe ich immer etwas Angst davor gehabt. Das ist schon ein komisches Gefühl. Ich komme mir vor, wie in einem Traum. Alles so unwirklich!
In der Nacht und morgens ab 5:00Uhr gibt es wieder mehrere Nachbeben. Ich verbringe die Nacht im Garten des Sunrise Cottage auf einer Decke, zugedeckt mit dem Schlafsack und versorgt mit dem Wichtigsten. Ich kämpfe an gegen die Angst und einige Mücken (sonst ist Letzteres immer schlimmer des Nachts 😉